Letter from Egon Schiele to Franz Hauer
Albertina, Vienna
ESDA ID
736
Nebehay 1979
633
Credit line
Albertina, Vienna, Inv. ESA 101 a (envelope), 101 b (letter)
Place
Vienna
Date
25th Jan. 1914 (handwritten)
Material/technique
Black ink on paper
Dimensions
17,3 x 13,5 cm
9,1 x 13,9 cm (envelope)
9,1 x 13,9 cm (envelope)
Transcription
Sonntag, 25. Jänner 1914.
Sehr geehrter Herr Hauer!
ich erwarte von Ihnen daß Sie mich am Dienstag
oder Mittwoch 2–4h nachmittags besuchen werden
um eines oder beide Städte zu kaufen; –
Kommen Sie nicht wenn Sie Sich irgendwie miß-
trauisch zu mir oder meinem Vorschlag verhalten.
ich wünsche das darum von Ihnen, weil ich um die
Wahrheit zu gestehen, seit Sommer 1913 – 2500 K[ronen]
Schulden habe, – ganz erklärlich, weil ich in der
langen Zeit von August bis jetzt ein ganzes Bild
für 350 K verkauft habe. – Woher und auf
welche Art soll ich mich also fortbringen? –
Mit dem 19ten Jahre wurde ich selbständig; ich
hatte unzählige Hindernisse zu passieren, wie
keiner vielleicht, – das schwächt. – Diese
Hemmungen kommen in Bildern zum Ausdruck.
– Von den Kollegen waren alle Feinde; ich
begann Wien zu hassen, wollte in Krummau
einsam bleiben, – konnte aber nicht, weil
ich kein Geld zur Verfügung hatte. – ich brauchte
Wien und zog nach Neulengbach um einsam
zu sein und doch dabei Wien in nächster Nähe zu
haben. – ich wurde Mensch! und das Schicksal
wollte es
./.
||
daß ein Mädchen mich gerne sah und es so
weit brachte, daß es selbständig zu mir kam. –
ich schickte es fort. – es kam aber am nächsten
Abend wieder und ging nicht fort. Niemand
war in der Nähe der es holen konnte. –
Und hätte ich jemanden gerufen, so mußte ich
ein Drama befürchten; also ließ ich es bei
mir und schrieb an seine Eltern. – Ihr Vater
holte es. – Man überzeugte sich daß es
unberührt war, – trotzdem kam es vor’s
Gericht. – Damals wurde ich gemein erniedrigt
für meine Güte. – ich verlor jeglichen
Glauben an sonst glaubhafte Menschen, –
ich erlebte schwere, schwere Stunden, – lernte
allen Morast von Menschen kennen und
viele unverstandene wahre Menschen. –
Von meinen Nächstbekannten rührte sich niemand
außer Wally [1] die ich damals kurz kannte und
die sich so edel benahm daß mich dies fesselte;
und Herrn Benesch. [2] – ich begann schwer
zu denken – ich empfand Menschen mit
offener Seele und ihr heiliges Herz, und
dachte über Lügner und böse Menschen nach.
So kam ich auf den Gedanken, daß der reine
||
wahre Mensch ewig leben muß. – Mir
eckelte [!] vor meiner früher so innig geliebten
melancholischen Landschaft in Neulengbach.
– es trieb mich als Gegensatz an die
Grentze [!]; ich blieb in Bregenz 1912. und
sah nichts als den verschieden stürmenden See
und ferne weiße sonnige Berge in der Schweiz.
– ich wollte ein neues Leben beginnen. –
Aber bis jetzt konnte ich’s nicht; – nichts
gelang mir noch in meinem Leben. –
ich sehne mich nach freien Menschen. –
So lieb mir Österreich ist; ich beklage es. –
ich verstehe immer mehr die Aufsätze von
Egger-Lienz; [3] – nur daß er ohrfeigt.
– das werde ich nie tun. –
Goltz in München schrieb mir daß ein wohlhabender
Herr mir einen längeren Aufenthalt in Paris
ermöglichen möchte; [4] vielleicht wird dies
demnächst wahr. – wenn nicht so werde
ich alles tun um nach Paris, Berlin oder
München zu kommen, – je früher desto besser.
– Auf die Dauer geht dies nicht so. –
ich glaube an bedeutende Menschen, die mich
||
erkennen werden, die mir abgesehen von dem
Maler, – dem Künstler das Werkzeug
geben werden, damit er bilden kann.
– ich wünsche Herr Hauer von Ihnen
den erhabenen Eindruck zu behalten;
darum erweisen Sie Sich.
Herzliche Grüße
Egon Schiele.
[Kuvert:]
Herrn Franz Hauer
Wien XIX. Silbergasse 40.
||
Egon Schiele
Wien XIII.
Hietzinger
Hauptstr.[aße] 101.
Sehr geehrter Herr Hauer!
ich erwarte von Ihnen daß Sie mich am Dienstag
oder Mittwoch 2–4h nachmittags besuchen werden
um eines oder beide Städte zu kaufen; –
Kommen Sie nicht wenn Sie Sich irgendwie miß-
trauisch zu mir oder meinem Vorschlag verhalten.
ich wünsche das darum von Ihnen, weil ich um die
Wahrheit zu gestehen, seit Sommer 1913 – 2500 K[ronen]
Schulden habe, – ganz erklärlich, weil ich in der
langen Zeit von August bis jetzt ein ganzes Bild
für 350 K verkauft habe. – Woher und auf
welche Art soll ich mich also fortbringen? –
Mit dem 19ten Jahre wurde ich selbständig; ich
hatte unzählige Hindernisse zu passieren, wie
keiner vielleicht, – das schwächt. – Diese
Hemmungen kommen in Bildern zum Ausdruck.
– Von den Kollegen waren alle Feinde; ich
begann Wien zu hassen, wollte in Krummau
einsam bleiben, – konnte aber nicht, weil
ich kein Geld zur Verfügung hatte. – ich brauchte
Wien und zog nach Neulengbach um einsam
zu sein und doch dabei Wien in nächster Nähe zu
haben. – ich wurde Mensch! und das Schicksal
wollte es
./.
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daß ein Mädchen mich gerne sah und es so
weit brachte, daß es selbständig zu mir kam. –
ich schickte es fort. – es kam aber am nächsten
Abend wieder und ging nicht fort. Niemand
war in der Nähe der es holen konnte. –
Und hätte ich jemanden gerufen, so mußte ich
ein Drama befürchten; also ließ ich es bei
mir und schrieb an seine Eltern. – Ihr Vater
holte es. – Man überzeugte sich daß es
unberührt war, – trotzdem kam es vor’s
Gericht. – Damals wurde ich gemein erniedrigt
für meine Güte. – ich verlor jeglichen
Glauben an sonst glaubhafte Menschen, –
ich erlebte schwere, schwere Stunden, – lernte
allen Morast von Menschen kennen und
viele unverstandene wahre Menschen. –
Von meinen Nächstbekannten rührte sich niemand
außer Wally [1] die ich damals kurz kannte und
die sich so edel benahm daß mich dies fesselte;
und Herrn Benesch. [2] – ich begann schwer
zu denken – ich empfand Menschen mit
offener Seele und ihr heiliges Herz, und
dachte über Lügner und böse Menschen nach.
So kam ich auf den Gedanken, daß der reine
||
wahre Mensch ewig leben muß. – Mir
eckelte [!] vor meiner früher so innig geliebten
melancholischen Landschaft in Neulengbach.
– es trieb mich als Gegensatz an die
Grentze [!]; ich blieb in Bregenz 1912. und
sah nichts als den verschieden stürmenden See
und ferne weiße sonnige Berge in der Schweiz.
– ich wollte ein neues Leben beginnen. –
Aber bis jetzt konnte ich’s nicht; – nichts
gelang mir noch in meinem Leben. –
ich sehne mich nach freien Menschen. –
So lieb mir Österreich ist; ich beklage es. –
ich verstehe immer mehr die Aufsätze von
Egger-Lienz; [3] – nur daß er ohrfeigt.
– das werde ich nie tun. –
Goltz in München schrieb mir daß ein wohlhabender
Herr mir einen längeren Aufenthalt in Paris
ermöglichen möchte; [4] vielleicht wird dies
demnächst wahr. – wenn nicht so werde
ich alles tun um nach Paris, Berlin oder
München zu kommen, – je früher desto besser.
– Auf die Dauer geht dies nicht so. –
ich glaube an bedeutende Menschen, die mich
||
erkennen werden, die mir abgesehen von dem
Maler, – dem Künstler das Werkzeug
geben werden, damit er bilden kann.
– ich wünsche Herr Hauer von Ihnen
den erhabenen Eindruck zu behalten;
darum erweisen Sie Sich.
Herzliche Grüße
Egon Schiele.
[Kuvert:]
Herrn Franz Hauer
Wien XIX. Silbergasse 40.
||
Egon Schiele
Wien XIII.
Hietzinger
Hauptstr.[aße] 101.
Annotations
[1] Walburga „Wally“ Neuzil (1894–1917).
[2] Heinrich Benesch (1862–1947).
[3] Albin Egger-Lienz (1868–1926).
[4] Hans Goltz, Kunsthändler (1873–1927); siehe ESDA ID 730.
[2] Heinrich Benesch (1862–1947).
[3] Albin Egger-Lienz (1868–1926).
[4] Hans Goltz, Kunsthändler (1873–1927); siehe ESDA ID 730.
Provenance
Max Wagner, Vienna
1954: Albertina, Vienna
1954: Albertina, Vienna
Recorded in
Hist. Museum der Stadt Wien 1968, S. 60; Hist. Museum der Stadt Wien 1990, Nr. 5.8; Husslein-Arco/Kallir 2011, S. 223, Abb. 13, S. 234
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Albertina, Vienna
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