Letter from Marie Schiele to Egon Schiele
Leopold Museum, Vienna
ESDA ID
2885
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Credit line
Leopold Museum, Vienna, Inv. 8054
Place
Vienna
Date
14th Nov. 1913 (handwritten)
Material/technique
Ink on paper
Dimensions
15,1 x 12,5 cm (page)
Transcription
Wien d.[en] 14/11 1913
Lieber Egon! Nachdem mich die Um-
stände zwingen raschestens Gerti’s
Trauung zu beschleunigen –
war ich mit Peschka schon mit 2
Zeugen bei der Polizei dann
beim Pfarramt [1] – und fehlt uns
vielmehr mir, Papa’s Heimat-
schein den du haben mußt
und mir ehestens senden
sollst! [2] – Morgen d.[en] 15ten und
Samstag d. 16ten dann 23ten
wird Gerti’s Trauung hier in
der Kirche verkündet – ar-
mes Kind was erwartet Sie [!]
Alles! Sie ist so verändert
ruhig, u glaubt immer, daß sie
bei der Entbindung stirbt [3] –
sie legt einen großen He-
roismus an den Tag
zum Staunen! Was die Lie-
||
be Alles im Stande ist! – der
alte Peschka wäre gewillt gewe-
sen dass er sie sitzen ließe
dann hätte ich, die man Trat-
schen schimpft, auch wirklich ge-
redet. – Peschka hat nun viel
Auslagen rennt sich die Füße
aus. Gerti wird am Hoffmanns-
platz XIII im I ten Stock woh-
nen, Küche, Zimmer, bis besse-
re Zeiten kommen. Doktor
Graff [4] ist auch schon verstän-
digt. Ich für meinen Theil
bin fürchterlich aufgeregt
bin neugierig was das
nächste Drama sein wird.
Eines würde ich dich ersu-
chen, wenn du Gerti zum
Traualtar als einziger
Bruder führen möchtest
vergiß, was geschehen, wer
weiß ob du deine Schwester
||
je im Leben wi[e]dersiehst be-
denke was Ihr bevorsteht! –
Mir erbarmt Sie ungemein
trotzdem sie mich vor so einem
Unglück verschohnen [!] hätte kön-
nen – doch Gottes Wille geschehe,
heute fliegen 3 Briefe noch
nach verschiedenen Richtung-
gen – wir sind ja so arm
Peschka’s Eltern so verstockt
das man Ihnen nicht ein-
mal ein einfaches Hochzeits-
Essen machen kann – Könntest
du mir nicht 24 K[ronen] geben
daß ich meinen Mantel
auslöse ich bin ganz ver-
zweifelt dieses Sattendorf war
mein Unglück! –
Gestern hat Schneider Holub
auf Peschka’s Rechnung Gerti
zur Trauung ein graues
Costüm angemeßen [!]. wie
||
schön wäre sie als Braut
gewesen! Wir werden Kar-
ten ausschicken wo sie sich
als Vermählte anzeigen
Heute schreibe ich Tante
Mani [5] sollen den [!] alle Men-
schen von Stein sein! –
Also Egon vergiß nicht –
du siehst ich muß Geld haben
ich verlange ja nur mein
Eigenthum ich brauche es
muß Matra[t]zen zahlen etc Alles
für Gerti – es muß sein! –
Besuchen kann ich dich viel-
leicht nun lange nicht ich muß
den jungen Leuten helfen
Gerti kann nichts heben u
machen, so werde ich Peschka
helfen müßen die Wohnung
einrichten. Lebe wo[h]l und
schicke gleich den Heimatschein
Es grüßt dich herzlichst
deine Mama
Was macht dein Magen schon besser
[Kuvert:]
Wolgeboren
Herrn
Akad.[emischer] Maler
Egon Schiele
Wien
XIII Hietzinger Haupt-
straße 101.
Lieber Egon! Nachdem mich die Um-
stände zwingen raschestens Gerti’s
Trauung zu beschleunigen –
war ich mit Peschka schon mit 2
Zeugen bei der Polizei dann
beim Pfarramt [1] – und fehlt uns
vielmehr mir, Papa’s Heimat-
schein den du haben mußt
und mir ehestens senden
sollst! [2] – Morgen d.[en] 15ten und
Samstag d. 16ten dann 23ten
wird Gerti’s Trauung hier in
der Kirche verkündet – ar-
mes Kind was erwartet Sie [!]
Alles! Sie ist so verändert
ruhig, u glaubt immer, daß sie
bei der Entbindung stirbt [3] –
sie legt einen großen He-
roismus an den Tag
zum Staunen! Was die Lie-
||
be Alles im Stande ist! – der
alte Peschka wäre gewillt gewe-
sen dass er sie sitzen ließe
dann hätte ich, die man Trat-
schen schimpft, auch wirklich ge-
redet. – Peschka hat nun viel
Auslagen rennt sich die Füße
aus. Gerti wird am Hoffmanns-
platz XIII im I ten Stock woh-
nen, Küche, Zimmer, bis besse-
re Zeiten kommen. Doktor
Graff [4] ist auch schon verstän-
digt. Ich für meinen Theil
bin fürchterlich aufgeregt
bin neugierig was das
nächste Drama sein wird.
Eines würde ich dich ersu-
chen, wenn du Gerti zum
Traualtar als einziger
Bruder führen möchtest
vergiß, was geschehen, wer
weiß ob du deine Schwester
||
je im Leben wi[e]dersiehst be-
denke was Ihr bevorsteht! –
Mir erbarmt Sie ungemein
trotzdem sie mich vor so einem
Unglück verschohnen [!] hätte kön-
nen – doch Gottes Wille geschehe,
heute fliegen 3 Briefe noch
nach verschiedenen Richtung-
gen – wir sind ja so arm
Peschka’s Eltern so verstockt
das man Ihnen nicht ein-
mal ein einfaches Hochzeits-
Essen machen kann – Könntest
du mir nicht 24 K[ronen] geben
daß ich meinen Mantel
auslöse ich bin ganz ver-
zweifelt dieses Sattendorf war
mein Unglück! –
Gestern hat Schneider Holub
auf Peschka’s Rechnung Gerti
zur Trauung ein graues
Costüm angemeßen [!]. wie
||
schön wäre sie als Braut
gewesen! Wir werden Kar-
ten ausschicken wo sie sich
als Vermählte anzeigen
Heute schreibe ich Tante
Mani [5] sollen den [!] alle Men-
schen von Stein sein! –
Also Egon vergiß nicht –
du siehst ich muß Geld haben
ich verlange ja nur mein
Eigenthum ich brauche es
muß Matra[t]zen zahlen etc Alles
für Gerti – es muß sein! –
Besuchen kann ich dich viel-
leicht nun lange nicht ich muß
den jungen Leuten helfen
Gerti kann nichts heben u
machen, so werde ich Peschka
helfen müßen die Wohnung
einrichten. Lebe wo[h]l und
schicke gleich den Heimatschein
Es grüßt dich herzlichst
deine Mama
Was macht dein Magen schon besser
[Kuvert:]
Wolgeboren
Herrn
Akad.[emischer] Maler
Egon Schiele
Wien
XIII Hietzinger Haupt-
straße 101.
Annotations
[1] Gertrude Schiele (1894–1981) und Anton Peschka (1885–1940) heirateten erst im folgenden Jahr.
[2] Adolf Schiele (1851–1905); ESDA, ID: 2220.
[3] Gerti Schieles erste Schwangerschaft mit Tochter Gertrude Peschka (1913–1944).
[4] Erwin von Graff, Gynäkologe (1878–1952).
[5] Marie Czihaczek, geb. Schiele (1853–1937).
[2] Adolf Schiele (1851–1905); ESDA, ID: 2220.
[3] Gerti Schieles erste Schwangerschaft mit Tochter Gertrude Peschka (1913–1944).
[4] Erwin von Graff, Gynäkologe (1878–1952).
[5] Marie Czihaczek, geb. Schiele (1853–1937).
Provenance
Vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
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Leopold Museum, Vienna
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