Contribution by Johannes Fischer to the Egon Schiele Commemorative Book
Albertina, Vienna
ESDA ID
2562
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Credit line
Albertina, Vienna, Inv. ESA 508/1–4
Date
1943 (inferred from content)
Material/technique
Black ink on paper
Dimensions
19 x 15,5 cm (page)
Transcription
In memoriam Egon Schiele.
Ich war schon lange mit Egon Schiele
befreundet ehe ich durch meine Über-
siedlung nach Ober St. Veit, wo wir sozu-
sagen Türe an Türe wohnten, viele Stunden
täglich beisammen waren. Ich habe fast
alle seine wichtigen Bilder entstehen und
werden sehen, ich sah sein Leben und
was bei Ihm [!] dasselbe war, sein künstleri-
sches Gestalten aus nächster Nähe, weiß
daher am besten daß er alles das nicht
war was Kritikerklatsch und dumme
Legendensucht von Ihm erzählte.
Er war weder so einfältig noch so bizarr
wie manche geflissentliche Feder Ihn [!]
haben wollte, weiß Gott er wäre reif fürs
Narrenhaus gewesen und nicht der große
Künstler als den ich Ihn [!] kannte wenn
nur der geringste Teil des Unsinns der
über Ihm [!] zusammengeschrieben wurde
auf Wahrheit beruht hatte.
Über wenige der damals jungen oesterreichi-
schen Künstler ist so viel Absurdes und
leider auch maßlos gehässiges behauptet
||
worden wie über Schiele, Begabung und
Können, sogar hohes Können, das
konnten sogar seine gehässigsten Kritiker
seinen Arbeiten nicht absprechen, aber
da man sein allem Bürgerlichen contra-
diktorisches Wesen ja absolut ablehnen
mußte so dichtete man Ihm [!] alle nur
überhaupt möglichen Laster und Per-
versitäten an um in seiner Person
die dem Wiener Spießer so ganz beson-
ders verhaßte moderne Malerei tötlich [!]
zu treffen. Ich will hier ein für alle mal,
so widerwärtig mir das ganze Thema auch
ist, feststellen das [!] Schieles erotische Zeich-
nungen, ebenso wie die erotischen Zeich-
nungen anderer großer Künstler von
der Antike bis zur Gegenwart mit Sexua-
lität nicht das geringste zu schaffen
haben; so wie sie auch keineswegs
zum „stärksten dieses Genres„ gehören
wie man wohl behauptet hat. Es ist
sehr bedauerlich und für die uner-
hörte Unbildung unserer Kunstgelehrten
höchst bezeichnend daß sie diese
||
Unterscheidung aus eigener intellektu-
eller Anschauung niemals begriffen
haben, daß es also vergebliche Mühe
sein dürfte ihnen den Unterschied
etwa zwischen einer Pornographie von
Rops und einer erotischen Zeichnung
von einem griechischen Vasenmaler,
Rembrandt Klimt oder Schiele klar zu
machen. Wer Schiele wirklich kannte
der sah nichts von Dekadenz und Per-
versität, es ist erstaunlich und für
ein feiner organisiertes Kulturgefühl
unfassbar daß die damalige soge-
nannte geistige Elite der Wiener
Kunsthistoriker unter Führung des
„Hofrates" Strzygowksy [Strzygowski] (sein berüchtigter
Vergleich von Kokoschka Bildern mit
Bordellfresken verdient der Nachwelt
erhalten zu bleiben) sich wie eine Horde
boshafter Affen über die um die Jahr-
hundertwende in Wien um eine noch
nie dagewesene Vergeistigung von
Musik und Malerei bemühte junge Künst-
||
lergeneration stürzte. Doch all das ist
rubbish, Makulatur, dauernden Wert
behalten nur zwei kleine Arbeiten über
Schiele, Gütersloh’s von Geist und tiefstem
Wissen um Schieles und jeder großen
Malerei durchglühtes Katalogvorwort
so wie Dr Kurt Rathes schmerzlich er-
griffene, über dem offenen Grabe verhau-
chende Totenklage antikischer Gesinnung.
Was also war Egon Schiele, wenn er all das
nicht war wozu blinder Unverstand und
Hass Ihn [!] machen wollte?
Ein eiserner Arbeiter am großen Werke
seiner Kunst dessen so unfassbar kurzes
Dasein Arbeit und wieder Arbeit, endloses
Ringen um immer freier und edler sich
emporschwingende Kunstgestaltung
war. Schieles große Domäne, sie souverän
beherrschend ist der irrationale Urgrund
der Welt, das ganze unermesslich reiche
Werk seines kurzen Daseins strahlt aus
vom Irrationalen, besonders seine
Graphik sowie seine zu phantastischer
Höhe empor gestaltete Zeichenkunst
gehören hieher [!], aus ihnen formt er
die Themen die nachher seinen ma-
||
lerischen Kosmos gestalten.
Ganz im Gegensatz zu Gütersloh reduziert
Schiele seine logisch zerebralen Kräfte auf
ein Mindestmaß zu Gunsten einer
gewaltig vertieften und restlos beherrschten
intuitiv medidativen [meditativen] Wesensschau
die das Gefüge der Welt im seelischen
Geschehen zu vollenden sucht.
Seine Kunst führt im steilen Anstieg
vom optisch sensuellen seiner ersten
Anfänge zu immer stärkerer Vergeistig-
ung, immer stärker und zwingender
wird das Todesproblem das Kraftzentrum
seines visionären Schauens und Ge-
staltens. Es ist ein durch nichts zu
ersetzender Verlust der jungen Kunst
des zwanzigsten Jahrhunderts daß
dieser geborene Freskomaler nicht das
große Mausoleum, die ungeheure
Krypta des Todes gestalten durfte, wo-
zu der Weltkrieg reichlich Anlass ge-
geben hätte. Die ganze reiche Entwick-
lung seiner letzten Jahre drängte mit
Macht zur Wand, alle seine Bilder sind
Vorstudien, Entwürfe für das seinem
||
gestaltendem Denken vorschwebende
Riesenfresko des Todes unter dessen
alles bezwingende Kategorie sich
die Elemente seiner Bildgestaltung
restlos einordnen, der raumlose
Blick seiner Asketengestalten sowie
deren feierliches in die eine Dimen-
sion der zeitlosen Dauer gebannte
Schreiten und Schweben.
In diesen Bruchstücken eines im
Geiste vollendet gestalteten Riesen-
freskos zeigt sich am stärksten
und reinsten das Irrationale seines
Wesens als Verklärer des gewaltigsten
Erlebnisses der Menschheit.
Die erhaben [!] Euphorie seiner letzten
Bruchstücke gibt uns Andeutungen
daß er über das Todproblem hinaus
in Tiefen der Ewigkeit hinabzutau-
chen versuchte wo nicht mehr
Sternenglanz und Weltenstaub den
schauernden Blick blendet.
Aber das tragische Ende kam
||
viel zu rasch, schneller als selbst
diese unfehlbare Hand, die so traum-
sicher leiseste Seelenregung in
Form und Rhythmus wandelte, dieses
letzte große Geheimnis aller Geheim-
nisse im Mythos des Bildes zu
gestalten vermochte.
1943 fünfundzwanzig Jahre nach
Egon Schieles Tod
Johannes
Fischer
Ich war schon lange mit Egon Schiele
befreundet ehe ich durch meine Über-
siedlung nach Ober St. Veit, wo wir sozu-
sagen Türe an Türe wohnten, viele Stunden
täglich beisammen waren. Ich habe fast
alle seine wichtigen Bilder entstehen und
werden sehen, ich sah sein Leben und
was bei Ihm [!] dasselbe war, sein künstleri-
sches Gestalten aus nächster Nähe, weiß
daher am besten daß er alles das nicht
war was Kritikerklatsch und dumme
Legendensucht von Ihm erzählte.
Er war weder so einfältig noch so bizarr
wie manche geflissentliche Feder Ihn [!]
haben wollte, weiß Gott er wäre reif fürs
Narrenhaus gewesen und nicht der große
Künstler als den ich Ihn [!] kannte wenn
nur der geringste Teil des Unsinns der
über Ihm [!] zusammengeschrieben wurde
auf Wahrheit beruht hatte.
Über wenige der damals jungen oesterreichi-
schen Künstler ist so viel Absurdes und
leider auch maßlos gehässiges behauptet
||
worden wie über Schiele, Begabung und
Können, sogar hohes Können, das
konnten sogar seine gehässigsten Kritiker
seinen Arbeiten nicht absprechen, aber
da man sein allem Bürgerlichen contra-
diktorisches Wesen ja absolut ablehnen
mußte so dichtete man Ihm [!] alle nur
überhaupt möglichen Laster und Per-
versitäten an um in seiner Person
die dem Wiener Spießer so ganz beson-
ders verhaßte moderne Malerei tötlich [!]
zu treffen. Ich will hier ein für alle mal,
so widerwärtig mir das ganze Thema auch
ist, feststellen das [!] Schieles erotische Zeich-
nungen, ebenso wie die erotischen Zeich-
nungen anderer großer Künstler von
der Antike bis zur Gegenwart mit Sexua-
lität nicht das geringste zu schaffen
haben; so wie sie auch keineswegs
zum „stärksten dieses Genres„ gehören
wie man wohl behauptet hat. Es ist
sehr bedauerlich und für die uner-
hörte Unbildung unserer Kunstgelehrten
höchst bezeichnend daß sie diese
||
Unterscheidung aus eigener intellektu-
eller Anschauung niemals begriffen
haben, daß es also vergebliche Mühe
sein dürfte ihnen den Unterschied
etwa zwischen einer Pornographie von
Rops und einer erotischen Zeichnung
von einem griechischen Vasenmaler,
Rembrandt Klimt oder Schiele klar zu
machen. Wer Schiele wirklich kannte
der sah nichts von Dekadenz und Per-
versität, es ist erstaunlich und für
ein feiner organisiertes Kulturgefühl
unfassbar daß die damalige soge-
nannte geistige Elite der Wiener
Kunsthistoriker unter Führung des
„Hofrates" Strzygowksy [Strzygowski] (sein berüchtigter
Vergleich von Kokoschka Bildern mit
Bordellfresken verdient der Nachwelt
erhalten zu bleiben) sich wie eine Horde
boshafter Affen über die um die Jahr-
hundertwende in Wien um eine noch
nie dagewesene Vergeistigung von
Musik und Malerei bemühte junge Künst-
||
lergeneration stürzte. Doch all das ist
rubbish, Makulatur, dauernden Wert
behalten nur zwei kleine Arbeiten über
Schiele, Gütersloh’s von Geist und tiefstem
Wissen um Schieles und jeder großen
Malerei durchglühtes Katalogvorwort
so wie Dr Kurt Rathes schmerzlich er-
griffene, über dem offenen Grabe verhau-
chende Totenklage antikischer Gesinnung.
Was also war Egon Schiele, wenn er all das
nicht war wozu blinder Unverstand und
Hass Ihn [!] machen wollte?
Ein eiserner Arbeiter am großen Werke
seiner Kunst dessen so unfassbar kurzes
Dasein Arbeit und wieder Arbeit, endloses
Ringen um immer freier und edler sich
emporschwingende Kunstgestaltung
war. Schieles große Domäne, sie souverän
beherrschend ist der irrationale Urgrund
der Welt, das ganze unermesslich reiche
Werk seines kurzen Daseins strahlt aus
vom Irrationalen, besonders seine
Graphik sowie seine zu phantastischer
Höhe empor gestaltete Zeichenkunst
gehören hieher [!], aus ihnen formt er
die Themen die nachher seinen ma-
||
lerischen Kosmos gestalten.
Ganz im Gegensatz zu Gütersloh reduziert
Schiele seine logisch zerebralen Kräfte auf
ein Mindestmaß zu Gunsten einer
gewaltig vertieften und restlos beherrschten
intuitiv medidativen [meditativen] Wesensschau
die das Gefüge der Welt im seelischen
Geschehen zu vollenden sucht.
Seine Kunst führt im steilen Anstieg
vom optisch sensuellen seiner ersten
Anfänge zu immer stärkerer Vergeistig-
ung, immer stärker und zwingender
wird das Todesproblem das Kraftzentrum
seines visionären Schauens und Ge-
staltens. Es ist ein durch nichts zu
ersetzender Verlust der jungen Kunst
des zwanzigsten Jahrhunderts daß
dieser geborene Freskomaler nicht das
große Mausoleum, die ungeheure
Krypta des Todes gestalten durfte, wo-
zu der Weltkrieg reichlich Anlass ge-
geben hätte. Die ganze reiche Entwick-
lung seiner letzten Jahre drängte mit
Macht zur Wand, alle seine Bilder sind
Vorstudien, Entwürfe für das seinem
||
gestaltendem Denken vorschwebende
Riesenfresko des Todes unter dessen
alles bezwingende Kategorie sich
die Elemente seiner Bildgestaltung
restlos einordnen, der raumlose
Blick seiner Asketengestalten sowie
deren feierliches in die eine Dimen-
sion der zeitlosen Dauer gebannte
Schreiten und Schweben.
In diesen Bruchstücken eines im
Geiste vollendet gestalteten Riesen-
freskos zeigt sich am stärksten
und reinsten das Irrationale seines
Wesens als Verklärer des gewaltigsten
Erlebnisses der Menschheit.
Die erhaben [!] Euphorie seiner letzten
Bruchstücke gibt uns Andeutungen
daß er über das Todproblem hinaus
in Tiefen der Ewigkeit hinabzutau-
chen versuchte wo nicht mehr
Sternenglanz und Weltenstaub den
schauernden Blick blendet.
Aber das tragische Ende kam
||
viel zu rasch, schneller als selbst
diese unfehlbare Hand, die so traum-
sicher leiseste Seelenregung in
Form und Rhythmus wandelte, dieses
letzte große Geheimnis aller Geheim-
nisse im Mythos des Bildes zu
gestalten vermochte.
1943 fünfundzwanzig Jahre nach
Egon Schieles Tod
Johannes
Fischer
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Signee
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