Stern 1912
Friedrich Stern: “Feuilleton. Wiener Kunstausstellungen. Secession. – Hagenbund.”, in: Neues Wiener Tagblatt, 11th April 1912, pp. 1–3
Wir haben von der Konstituierung eines „Bundes österreichischer Künstler“ berichtet, der gewissermaßen als ein Widerspiel des bereits seit mehreren Jahren bestehenden Vereines „Österreichischer Künstlerbund“ anzusehen ist. Während dieser einen Zusammenschluß aller Künstler Österreichs, welcher Richtung und Vereinigung sie auch immer angehören mögen, zu einer Berufsgenossenschaft anstrebte – er krankt noch immer an Zwistigkeiten, Teilnahmslosigkeiten und ähnlichen Dingen, die eine Künstlervereinigung allezeit bedrohen –, hat der neue „Bund“ offenbar eine bestimmte Auslese im Auge. Wenn man die Namen der gründenden Mitglieder durchsieht, findet man, daß die meisten von ihnen schon einmal in einer „Vereinigung“, und zwar in der Sezession, beisammen gesessen haben; neu hinzugekommen sind nur einige Hagenbündler und ganz „Wilde“, die übrigens der Gruppe „Kunstschau“ zuzuzählen wären. Die meisten von ihnen sind obdachlos oder stehen im Begriffe, es zu werden; es wäre also eine freundliche Schickung, wenn ihre Absichten Gestalt gewännen, der Bund seßhaft würde und wieder ein Heim gewänne. Vielleicht sind die, welche hier abgebrochene Beziehungen wieder neu anknüpfen, durch die Erfahrung verträglicher geworden, vielleicht wissen sie jetzt schon, daß man die eigene Kunst der Mitwelt nicht sympathischer macht, wenn man die der andern möglichst verleidet, vielleicht. …
[…]
Die stärkste Überraschung, die uns der Hagenbund diesmal bietet, wäre vielleicht in einer regulären Ausstellung erspart geblieben; dergleichen wurde sonst nur in einem aparten Ensemble gebracht, das mit einer bestimmten Marke in die Oeffentlichkeit trat. Die Vorrede motiviert dies mit der Obdachlosigkeit der „Kunstschau“, auf die der Hagenbund sich plötzlich besonnen hat – und in der Kunstschau wären die Arbeiten von Schiele und Merkel wirklich ganz am Platze gewesen. Von Schiele hatten wir wiederholt zu sprechen Gelegenheit; zuerst als von einem höchst unzureichenden Nachahmer Klimts, dann, einigermaßen erstaunt, als einem bemerkenswerten Zeichner; heute müssen wir konstatieren, daß da ein wirkliches Talent am Hunger nach dem Absonderlichen und Abseitigen zugrunde zu gehen droht. Heute imitiert Schiele mit hingebendem Fleiß die allerjüngsten Jungen in allen ihren Scheußlichkeiten, in denen die Elite der Snobs zu schwelgen vermag, sogar von den Methoden der Kubisten hat er sich seine eigene Vorstellung gemacht, die er in einem Gemälde, „Die Eremiten“, vorführt. Auch ein „Selbstporträt“ hat er hier, das nur darum schwer zu erkennen ist, weil die Verwesung zu weit vorgeschritten ist, von der ergriffener sein junges Antlitz darstellen zu müssen glaubte. Das ist doch traurig. Merkel macht den Eindruck eines hoffnungslosen Anfängers, dem man es gar nicht glauben will, daß er die Kohlenzeichnung („Frauenkopf“ Nr. 89) wirklich selber gemacht hat. Einer, der vor kurzem noch Schieles Wege gewandelt hat, Faistauer, scheint sich nun darauf zu besinnen, daß er einmal etwas Ordentliches gelernt hat.
Es gibt aber auch erfreulichere Dinge zu vermerken.
[…]
Wenn das schon die letzte Ausstellung des Hagenbundes im alten Hause ist, so wird es jeder gern sehen, wenn sie nicht seine letzte Ausstellung überhaupt bleibt. Dazu mag der „Künstlerbund“ helfen, der, wenn nicht anders, als Versuchsstation eine sehr nützliche Wirksamkeit wird entfalten können. Was nichts taugt, das bringt er freilich auch nicht weiter.
Friedrich Stern.
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Die stärkste Überraschung, die uns der Hagenbund diesmal bietet, wäre vielleicht in einer regulären Ausstellung erspart geblieben; dergleichen wurde sonst nur in einem aparten Ensemble gebracht, das mit einer bestimmten Marke in die Oeffentlichkeit trat. Die Vorrede motiviert dies mit der Obdachlosigkeit der „Kunstschau“, auf die der Hagenbund sich plötzlich besonnen hat – und in der Kunstschau wären die Arbeiten von Schiele und Merkel wirklich ganz am Platze gewesen. Von Schiele hatten wir wiederholt zu sprechen Gelegenheit; zuerst als von einem höchst unzureichenden Nachahmer Klimts, dann, einigermaßen erstaunt, als einem bemerkenswerten Zeichner; heute müssen wir konstatieren, daß da ein wirkliches Talent am Hunger nach dem Absonderlichen und Abseitigen zugrunde zu gehen droht. Heute imitiert Schiele mit hingebendem Fleiß die allerjüngsten Jungen in allen ihren Scheußlichkeiten, in denen die Elite der Snobs zu schwelgen vermag, sogar von den Methoden der Kubisten hat er sich seine eigene Vorstellung gemacht, die er in einem Gemälde, „Die Eremiten“, vorführt. Auch ein „Selbstporträt“ hat er hier, das nur darum schwer zu erkennen ist, weil die Verwesung zu weit vorgeschritten ist, von der ergriffener sein junges Antlitz darstellen zu müssen glaubte. Das ist doch traurig. Merkel macht den Eindruck eines hoffnungslosen Anfängers, dem man es gar nicht glauben will, daß er die Kohlenzeichnung („Frauenkopf“ Nr. 89) wirklich selber gemacht hat. Einer, der vor kurzem noch Schieles Wege gewandelt hat, Faistauer, scheint sich nun darauf zu besinnen, daß er einmal etwas Ordentliches gelernt hat.
Es gibt aber auch erfreulichere Dinge zu vermerken.
[…]
Wenn das schon die letzte Ausstellung des Hagenbundes im alten Hause ist, so wird es jeder gern sehen, wenn sie nicht seine letzte Ausstellung überhaupt bleibt. Dazu mag der „Künstlerbund“ helfen, der, wenn nicht anders, als Versuchsstation eine sehr nützliche Wirksamkeit wird entfalten können. Was nichts taugt, das bringt er freilich auch nicht weiter.
Friedrich Stern.
Exhibitions
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35. Ausstellung des Künstlerbundes Hagen. FrühjahrsausstellungHagenbund, Zedlitzhalle, Vienna, 23rd March–c. 31st July 1912