Brief von Leopold Liegler an Egon Schiele
Brief von Leopold Liegler an Egon Schiele Bild 1
Brief von Leopold Liegler an Egon Schiele Bild 2
Brief von Leopold Liegler an Egon Schiele Bild 3
Albertina, Wien
ESDA ID
932
Nebehay 1979
846, nicht transkribiert/not transcribed
Bestandsnachweis
Albertina, Wien, Inv. ESA 346
Ort
Lilienfeld
Datierung
20.09.1915 (eigenhändig)
Material/Technik
Schwarze Tinte auf Papier
Maße
16,6 x 24,3 cm (Blatt)
Transkription
Lilienfeld, 20.IX.15

Lieber Herr Schiele! Ich schreibe Ihnen aus Lilienfeld,
wo ich mich für ein paar Tage aufhalte; meine
Mutter ist nach einem langen und schweren Leiden
gestorben, Freitag habe ich sie begraben und
fuhr gleich am nächsten Tag weg, um hier in einer
ganz anderen Umgebung mein seelisches Gleich-
gewicht wiederzufinden. Aus diesen Gründen haben
ich in der letzten Zeit so gar nichts von mir hören lassen
und habe Sie selbst auf Ihre freundliche Einladung
hin nicht besucht. –
Die Änderung in Ihrer militärischen Dienstver-
wendung ist allerdings bös, aber versuchen Sies ein-
mal mit Ihrem Obersten zu sprechen – vielleicht durch
die Vermittlung eines Ihnen bekannten höheren
Offiziers. Es läßt sich am Ende doch machen, daß Sie
anstatt militärisch verwendet zu werden,
künstlerisch arbeiten können. Bitte, versuchen Sie
wenigstens, das sind Sie sich und der Kunst
schuldig! Wenn Sie erlauben, frage ich auch den
Dr. Weixlgärtner, [1] ob er keinen Rat geben, eventuell
eine wirksame Protektion verschaffen kann. Aber
schreiben Sie bald (an meine gewöhnliche Adresse)
||
da diese Angelegenheiten lange brauchen bis sie
erledigt werden. So weit ich Ihnen helfen kann tue
ich es mit tausend Freuden, Sie dürfen auf mich
unbedingt zählen.
Was die „Graph. K.“ anlangt, so bin ich über-
zeugt, daß der Aufsatz, wenn er angenommen
wird, würdig und mit der nötigen Anzahl von
Illustrationen herauskommen wird. [2] Dr. Weixl-
gärtner wollte ja etwas Repräsentatives haben
und dazu ist ein schönes Abbildungsmaterial
Voraussetzung. Es ist uns zwar nur die Sammlung
Benesch [3] zugänglich, aber sie reicht vollständig
aus. Wenn Ihre Frau Gemahlin [4] mir das Manu-
skript schickt oder vielleicht schon geschickt hat, so
ist mir das ganz angenehm, obwohl der Aufsatz
schon in den Händen Dr. W. sich befindet. Ich habe
den Anfang gänzlich umgearbeitet und er
gefällt jetzt Dr. W. ganz gut. Ihre Änderungs-
vorschläge werde ich nach Tunlichkeit noch
berücksichtigen. Sie können unbesorgt sein, es
wird nicht vorkommen, was Sie aus persön-
lichen Gründen vielleicht nicht gesagt wissen wollen.
||
Die Ausstellung Arnot [5] werde ich sofort besuchen, sowie
ich nächster Tage wieder nach Wien komme, ich freue
mich darauf Bekanntes, vielleicht auch Neues oder
noch Unbekanntes von Ihnen zu sehen.
Also, wie gesagt, wenn ich in dienstlichen Dingen
für Sie etwas vermitteln oder erkunden kann, so
bin ich gerne bereit, Sie müssen mir nur dazu die
Erlaubnis geben. Vergessen Sie nicht, daß Sie
Pflichten haben, die Ihnen gebieten, sich der Zeit nach
dem Kriege gesund und stark zu erhalten. –
Empfehlen Sie mich auch der gnädigen Frau, die jetzt
so schwere, in der quälenden Unsicherheit doppelt
peinigende Tage und Wochen verleben muß. Sie
selbst aber sollen etwas unternehmen oder wenigstens
den Willen dazu haben, Es grüßt Sie recht herzlich
Ihr treu ergebener
Liegler
Anmerkungen
[1] Arpad Weixlgärtner, Kunsthistoriker (1872–1961); Gesellschaft für vervielfältigende Kunst.
[2] Erschien erst 1916: Leopold Liegler: „Egon Schiele“, in: Die Graphischen Künste, Jg. 39, 1916, S. 70–80.
[3] Heinrich Benesch (1862–1947).
[4] Edith Schiele, geb. Harms (1893–1918).
[5] Kollektivausstellung, Galerie Arnot, Wien, August–September 1915.
Provenienz
Max Wagner, Wien
1954: Albertina, Wien (Legat)
Eigentümer*in
Unterzeichner*in
Empfänger*in
Abbildungsnachweis
Albertina, Wien

Ausstellungen

  • Kollektivausstellung
    Galerie Arnot, Wien, August–September 1915

Bibliografie

  • Liegler 1916
    Leopold Liegler: „Egon Schiele“, in: Die Graphischen Künste, Jg. 39, 1916, S. 70–80
PURL: https://www.egonschiele.at/932