Brief von Otto Benesch an Egon Schiele
ESDA ID
837
Nebehay 1979
738
Bestandsnachweis
Verbleib unbekannt
Ort
Wien
Datierung
10.01.1915 (eigenhändig)
Material/Technik
Tinte auf Papier
Transkription
Wien, den 10.I.1915
Sehr geehrter Herr Schiele!, Ich war etwas überrascht, zu hören, daß meine Einleitung einigen Staub aufwirbelte. Staub sammelt sich immer an, auch in den gesündesten Zeiten; ist eine gar leicht bewegliche Substanz und kommt auch dort ins Wirbeln, wo gar kein Anlaß dazu vorhanden. Ich weiß zwar gut, daß man nicht leicht in die Öffentlichkeit treten kann, ohne es irgendwem nicht ganz recht zu machen, aber das ist schon einmal so und kein ehrlicher Mensch, der in sich die Überzeugung spürt, den anderen solide, überdachte Wahrheiten bieten zu können, wird sich durch diesen Umstand zu einer Untreue wider sich selbst verleiten lassen. Im Urteilen über Kunst habe ich noch nie geheuchelt, und als ich Ihnen den Antrag stellte, ein Vorwort zu schreiben, eine Antrag, den Sie annahmen, war es weder meine Absicht, eine große Lobhudelei anzustimmen, noch, gegen jemanden Ausfälle kleinlicher Gehässigkeit zu unternehmen. Einzig und allein das Verlangen, an einer allen zugänglichen Stelle in klaren, objektiven Worten, jenseits von allzu betontem Gut und Böse, über Ihre Kunst, die ich bewundere, zu berichten, ließ mich diese Gelegenheit ergreifen, da sie am nächsten lag. Dabei hatte ich keineswegs im Sinn, einer Gruppe von Künstlern nahezutreten, und hielt mich auch während der Arbeit geflissentlich von einer allzu subjektiven Färbung des Ganzen zurück.
Aus Ihrem Brief konnte ich nicht deutlich ersehen, ob die darin ausgesprochene Ansicht nur von Herrn Böhler stammt oder ob sich noch andere, die sich etwa getroffen fühlen, ihr anschliessen. Sie selbst wissen nur zu gut, daß ich niemals unserem Wiener Kunstgewerbe, wie es sich in der Werkstätte verkörpert, die gebührende Anerkennung versagte. Es weiß die Seele des Gerätes so rein und adelig in Formen zu kleiden, wie heute vielleicht keine andere Richtung des Kunstgewerbes. Für die feinen Interieurs der Werkstätte wurden nun auch Bilder gemalt, und zwar von den Vertretern jener Gruppe, die sich um Klimt sammelte (ich spreche von der Klimtgruppe, nicht von Klimt!), Bilder, die sich auf vornehme, dezente Weise diesem Milieu einfügten. So hoch ich auch dieses adelige Kunsthandwerk schätze, kann ich nicht umhin, es zeitlich beschränkt zu nennen, bedingt durch unsere Lebenskultur, die in hundert Jahren wieder ein anderes Gesicht zeigen wird. Und ich kann auch nicht umhin, den zeitlosen Werken früherer Jahrhunderte, den Werken eines Mantegna, Signorelli (der auf Sie einen großen Eindruck macht), Grünewald einen höheren Wert beizumessen, da dieser Wert ethischer Natur ist und die Bilder im vollsten Sinne des Wortes zeitlos macht.
Diese Bilder werden immer groß sein, auch in der jämmerlichsten Umgebung, denn sie stehen über dem Rahmen des zeitlichen Kulturausdrucks, während ich das Werk eines Mosers z.B. nicht von Wien und seiner Werkstätte trennen kann. Auch Klimt ist ein Zeitloser; seine Bilder werden immer lebendig sein, aber nicht die „derer um Klimt“. Als Beleg dafür einige Worte anderer Kunstschriftsteller. Franz Servaes: „Die Gruppe derer um Klimt ist die gefährlichste; weil das verführerische Beispiel des unnachahmlichen, das heisst also zur Nachahmung nicht geeigneten Meisters auf ihr lastet.“ Richard Muther (in der „Geschichte der Malerei“): „Man darf kaum sagen daß Karl [!] Moll, Max Kurzweil, Wilhelm List und Emil Orlik, sub specie aeternitatis betrachtet, viel bedeuten. Aber wie vor hundert Jahren ist Wien auch heute die Stadt, wo die Einzelkünste, durch die Bedürfnisse eines kultivierten Lebens zusammengehalten, sich am feinsten zum Stil verweben. Die Bilder wirken ganz entzückend als Schmuck der wundervollen Wohnräume, wie sie heute Hoffmann und Moser schaffen.“ Sie, Herr Schiele, waren auch einmal einer von „denen um Klimt“. Die Wandlung, die Sie in andere Bahnen lenkte, kann nur ein Abstieg oder Aufstieg gewesen sein. Wohl war es ein Aufstieg; das zeigt schon der Ruf, den Ihre Kunst bei wahren Kennern genießt. Wenn ich daher sage: „Hingen Schieles Bilder in Kirchen, so wäre ihre Umgebung eine würdige“, so ist das nicht eine romantische Flause, „Firlefanz und Grössenwahn“, sondern simple Tatsache. Mosers Bilder würden in keine Kirche passen, wohl aber die Mantegnas oder Schieles. Das Übertragen ins religiös Zeitlose ist eben eine Feuerprobe, die Großes von Mindergroßen scheidet. – Aus solchen Tatsachen setzt sich meine Einleitung zusammen. Dann ist sie wohl nicht unsachlich?
Die größte Freude und Genugtuung an der Arbeit bot mir die verständnisvolle Aufnahme, die sie anfangs bei Ihnen fand, und wie gut Sie ihre Objektivität, ihre Sachlichkeit, mit einem Wort alles, was ich sagen wollte, erkannten. Für Herrn Böhler allerdings ist es nur „Kunstquatsch, Größenwahn, Firlefanz“. Es muß mich befremden daß Sie nun „nicht ganz“ dieser Ansicht sind; dann sind Sie es wohl teilweise? Ich beabsichtige nicht, eine Warenhausanpreisung zu schrieben, bei der das lesende Publikum sich nicht geistig strapazieren darf; denn man darf für jedes Gesagte von Inhalt ein wenig geistiges Mitarbeiten des Lesers verlangen. Der Zweck der Einleitung ist es, den Besuchern von Ihrer Kunst zu „sage“, zu vermitteln und zu helfen, wo der Beschauer allein nicht weiterkommt. Wenn die Sache nur „anscheinend gut geschrieben“, nur „gut gemeint und gedacht“ wäre, so hätte ich das Manuskript gleich in den Ofen gesteckt, denn die gute Meinung allein machts nicht aus; es muß auch das, was man meinte, restlos zu verständlichem Ausdruck gelangen. Wenn meine Meinung über Ihre Bilder auch Herrn Böhler nicht behagt, so hätte er doch die logische Durcharbeitung dieser Meinung in dem Artikel bemerken müssen, da das Ganze „Kopf und Fuß“ hat und jeder einmal entwickelte Gedanke auch zu Ende geführt wurde. Doch ein Logiker, einer, der klar zu denken versteht, scheint Herr Böhler nicht zu sein; wahrscheinlich ist ihm da zu viel Anstrengung.
Eine Zeitungskritik ist mein Artikel nicht. Hätte ich gewußt, daß ich Ihnen durch die Veröffentlichung im Katalog Ungelegenheiten bereiten würde, hätte ich auf jede Veröffentlichung verzichtet. Übrigens wollte ich Ihnen das Manuskript persönlich überreichen, vereinbarte mit Ihnen einen Tag, wo Sie bei Arnot zu treffen wären, kam pünktlich mit der Arbeit, – Sie aber waren nicht anwesend. – Wenn man für eine Ausstellung schreibt, nur um zu sagen: „Geht hinein und laßt die Bilder auf euch wirken!“, brauchte man gar nichts zu schreiben, denn diese Aufforderung ist schon im Begriff der öffentlichen Ausstellungen enthalten. – Über Klimt selbst habe ich nicht gesprochen. Und Kokoschka ist nicht so „schlecht“, daß es sündhaft wäre, seinen Namen in den Mund zu nehmen oder ihn neben dem Ihren zu nennen. –
Ist die Ansicht, gegen die ich in diesem Brief zu Felde zog, nur die des Herrn Böhler, so richte ich diese Antwort an ihn, ist sie die vieler oder aller, an die vielen oder an alle.
Ihr hochachtungsvoll ergebener
Otto Benesch
Provenienz
Provenienz lt. Nebehay 1979:
[Privatsammlung] P. 34
Erfasst in
Comini 1973, S. 122-123 sowie S. 229, Anm. 26.
Unterzeichner*in
Empfänger*in
Erwähnte Institution
PURL: https://www.egonschiele.at/837