Brief von Marie Schiele an Egon Schiele
Leopold Museum, Wien
ESDA ID
2883
Nebehay 1979
Nicht gelistet/Not listed
Bestandsnachweis
Leopold Museum, Wien, Inv. 8052
Ort
Wien
Datierung
23.11.1913 (eigenhändig)
Material/Technik
Tinte auf Papier
Maße
17,5 x 11,2 cm (Seite)
Transkription
Wien d.[en] 23/11 1913
Lieber Egon! Als ich gestern
zu Dir fuhr, kam es wegen
Onkel Franzens Brief zu einer
erregten Scene zwischen
mir u. Gerti, [1] sie geberdete [!]
sich fürchterlich, u. schrie mir
noch nach, wirst schon sehen
es wird etwas geschehen.
Tatsächlich kam ich von dir nach-
hause klagte sie über verdäch-
tige Bauchschmerzen und
als Peschka [2] Abends kam
sagte ich das beste wäre
ein Auto haben u Gerti
auf die Klinik schicken, was
auch geschah – anfangs wollte
sie nicht, dann ging sie wie
ein Held – u. kam wirklich
nicht mehr zurück – nur
Peschka der ratlos dasteht,
ganz desperat. Abends fuhr
ich abermals auf die Klinik
||
mit Peschka konnte aber von
dem unfreundlichen Personal
keine rechte Auskunft erhalten,
so ging ich wie ich war, zu
Doktor v. Graff [3] der soeben
fungi[e]rte bat ihn an die Kli-
nik zu telefoni[e]ren, was
er mit der Zuvorkommen-
heit that. Gerti sieht wirklich
Mutterfreuden in Bälde
entgegen es dürfte aber
noch diese Nacht nicht sein
Heute schickte ich wieder
Peschka hin, die arme
Gerti, unter fremden Men-
schen mußte sie einem
Mädchen [4] das Leben schen-
ken. Kannst Dir denken
wie mir ist ein Kind so
krank, u. ich nicht bei ihr
man darf auch nicht besu-
chen, nun warte ich wi[e]-
der auf Peschka wir wollen
abermals nachfragen durch
die Langweiligkeit Peschka’s
kam Alles anders. –
||
Mir geht Gerti furchtbar ab, da sie meist um
mich war – was wird nun geschehen.
Es ging Alles ohne Aufsehen es war ¼ 8
als wir sie auf die Klinik führten
kein Mensch weiß etwas. Wie tragisch mein
Kind führte man mir weg u. ein paar
Minuten später kam ihr Brautkleid! –
Erkundige Dich nach ihrem Befinden
es ist doch die Schwester. Mein Gott was
wird mich noch Alles treffen – wenn
Kinder nicht folgen kommt immer etwas
Schreckliches! – Egon geh nicht ohne Mantel
Du wirst Dich sauber verkühlen – folg! –
denk auf Dich – wer wird dich pflegen wenn
Du krank wirst – alle sind egoistisch! –
||
Ich staune nur über Ger-
ti’s Heroismus – sie ar-
beitete Alles, hat nie geklagt
war riesig geduldig
Gott gebe dass sie bald
u. gesund zurück kommt
die muß sich ordentlich
schohnen [!]. Heute träumte
mir Papa [5] ließ sich von
Tulln fortwährend nach
Gerti erkundigen, – wenn
er wüßte was seine arme
Mizel [6] mitmacht – besser der
arme hat nicht Alles erlebt.
ich muß es ertragen
bitter sehr bitter für so eine
anständige Frau! –
Herzliche Grüße dir
von deiner
armen
Mama
!In der Eile!
[Kuvert:]
An
Herrn
Egon Schiele
Akad.[emischer] Maler
Wien
XIII Hietzinger Hauptstraße
Nro 101
Lieber Egon! Als ich gestern
zu Dir fuhr, kam es wegen
Onkel Franzens Brief zu einer
erregten Scene zwischen
mir u. Gerti, [1] sie geberdete [!]
sich fürchterlich, u. schrie mir
noch nach, wirst schon sehen
es wird etwas geschehen.
Tatsächlich kam ich von dir nach-
hause klagte sie über verdäch-
tige Bauchschmerzen und
als Peschka [2] Abends kam
sagte ich das beste wäre
ein Auto haben u Gerti
auf die Klinik schicken, was
auch geschah – anfangs wollte
sie nicht, dann ging sie wie
ein Held – u. kam wirklich
nicht mehr zurück – nur
Peschka der ratlos dasteht,
ganz desperat. Abends fuhr
ich abermals auf die Klinik
||
mit Peschka konnte aber von
dem unfreundlichen Personal
keine rechte Auskunft erhalten,
so ging ich wie ich war, zu
Doktor v. Graff [3] der soeben
fungi[e]rte bat ihn an die Kli-
nik zu telefoni[e]ren, was
er mit der Zuvorkommen-
heit that. Gerti sieht wirklich
Mutterfreuden in Bälde
entgegen es dürfte aber
noch diese Nacht nicht sein
Heute schickte ich wieder
Peschka hin, die arme
Gerti, unter fremden Men-
schen mußte sie einem
Mädchen [4] das Leben schen-
ken. Kannst Dir denken
wie mir ist ein Kind so
krank, u. ich nicht bei ihr
man darf auch nicht besu-
chen, nun warte ich wi[e]-
der auf Peschka wir wollen
abermals nachfragen durch
die Langweiligkeit Peschka’s
kam Alles anders. –
||
Mir geht Gerti furchtbar ab, da sie meist um
mich war – was wird nun geschehen.
Es ging Alles ohne Aufsehen es war ¼ 8
als wir sie auf die Klinik führten
kein Mensch weiß etwas. Wie tragisch mein
Kind führte man mir weg u. ein paar
Minuten später kam ihr Brautkleid! –
Erkundige Dich nach ihrem Befinden
es ist doch die Schwester. Mein Gott was
wird mich noch Alles treffen – wenn
Kinder nicht folgen kommt immer etwas
Schreckliches! – Egon geh nicht ohne Mantel
Du wirst Dich sauber verkühlen – folg! –
denk auf Dich – wer wird dich pflegen wenn
Du krank wirst – alle sind egoistisch! –
||
Ich staune nur über Ger-
ti’s Heroismus – sie ar-
beitete Alles, hat nie geklagt
war riesig geduldig
Gott gebe dass sie bald
u. gesund zurück kommt
die muß sich ordentlich
schohnen [!]. Heute träumte
mir Papa [5] ließ sich von
Tulln fortwährend nach
Gerti erkundigen, – wenn
er wüßte was seine arme
Mizel [6] mitmacht – besser der
arme hat nicht Alles erlebt.
ich muß es ertragen
bitter sehr bitter für so eine
anständige Frau! –
Herzliche Grüße dir
von deiner
armen
Mama
!In der Eile!
[Kuvert:]
An
Herrn
Egon Schiele
Akad.[emischer] Maler
Wien
XIII Hietzinger Hauptstraße
Nro 101
Anmerkungen
[1] Gertrude Schiele (1894–1981).
[2] Anton Peschka (1885–1940).
[3] Erwin von Graff, Gynäkologe (1878–1952).
[4] Gertrude Peschka (1913–1944).
[5] Adolf Schiele (1851–1905).
[6] Koseform von Maria.
[2] Anton Peschka (1885–1940).
[3] Erwin von Graff, Gynäkologe (1878–1952).
[4] Gertrude Peschka (1913–1944).
[5] Adolf Schiele (1851–1905).
[6] Koseform von Maria.
Provenienz
Vor 2023: Privatsammlung
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
2023: Leopold Museum-Privatstiftung (Ankauf)
Eigentümer*in
Autor*in
Empfänger*in
Abbildungsnachweis
Leopold Museum, Wien
Verknüpfte Objekte
PURL: https://www.egonschiele.at/2883