Brief von Carl Reininghaus an Egon Schiele
        
        ESDA ID
    
    
        565
    
        Nebehay 1979
    
    
        453
    
        Bestandsnachweis
    
    
        Verbleib unbekannt
    
        Ort
    
    
        Wien
    
        Datierung
    
    
        09.02.1913 (eigenhändig)
    
        Material/Technik
    
    
        Tinte auf Papier
    
        Transkription
    
    
        Wien, Stubenring 6, 9/2 1913
Ich sah Arbeiten eines jungen Künstlers, die mich interessirten; ich lernte ihn kennen. Er schien sich ganz seiner Kunst zu widmen, resp.[ektive] in ihr aufzugehen. Er gewann mich, ich trug ihm, dem so viel Jüngeren, das Du an. Wir verkehrten miteinander, ich zeigte ihm ein warmes Interesse für Alles, was er schuf. Ich gab ihm einzelne Ratschläge, ich drückte ihm meine Wohlmeinung in Dingen, die mir nicht sympathisch waren, aus. Speziell mußte ich tadeln seine Neigung, Dinge künstlerisch wiederzugeben, die man sonst aus Verborgenheit nicht herauszieht. Er versprach, meine Auffassung zu respektiren, weil er sie billigte. Er hielt aber nicht zu, was er versprach; es mußte mich dies verstimmen. Ich möchte in dem Künstler auch den Menschen lieben, ihm trug ich in solcher Empfindung das Du an; der Mensch aber begann meine Empfindungen nicht mehr zu rechtfertigen. Er kam endlich in Schwierigkeiten mit den Behörden; ich glaubte im Wesentlichen noch an ihn und bot ihn [?] meine Unterstützung zu seiner Vertheidigung an; er acceptirte [!] auch. Er kam sehr glimpflich bei der Sache heraus. Die mir damals gewordene Information über das Resultat jener Untersuchung war nicht schwer belastend für ihn. Vor einigen Tagen schrieb mir jemand, der ihm persönlich absolut ferne steht, Gegenteiliges. Ich informierte mich nun maßgebend – und ich kann jenem jungen Künstler nicht mehr das persönliche Empfinden entgegenbringen, wie vordem. Es wäre eine Unwahrheit von mir, wenn ich nicht auch äußerlich die Consequenzen zöge – er selbst wird dies nur wünschen können – wenn ich ihm das herzliche „Du“ noch gäbe. Was die Zukunft etwa bringt, das bleibt eine offene Frage. Carl Reininghaus. [1]
Ich sah Arbeiten eines jungen Künstlers, die mich interessirten; ich lernte ihn kennen. Er schien sich ganz seiner Kunst zu widmen, resp.[ektive] in ihr aufzugehen. Er gewann mich, ich trug ihm, dem so viel Jüngeren, das Du an. Wir verkehrten miteinander, ich zeigte ihm ein warmes Interesse für Alles, was er schuf. Ich gab ihm einzelne Ratschläge, ich drückte ihm meine Wohlmeinung in Dingen, die mir nicht sympathisch waren, aus. Speziell mußte ich tadeln seine Neigung, Dinge künstlerisch wiederzugeben, die man sonst aus Verborgenheit nicht herauszieht. Er versprach, meine Auffassung zu respektiren, weil er sie billigte. Er hielt aber nicht zu, was er versprach; es mußte mich dies verstimmen. Ich möchte in dem Künstler auch den Menschen lieben, ihm trug ich in solcher Empfindung das Du an; der Mensch aber begann meine Empfindungen nicht mehr zu rechtfertigen. Er kam endlich in Schwierigkeiten mit den Behörden; ich glaubte im Wesentlichen noch an ihn und bot ihn [?] meine Unterstützung zu seiner Vertheidigung an; er acceptirte [!] auch. Er kam sehr glimpflich bei der Sache heraus. Die mir damals gewordene Information über das Resultat jener Untersuchung war nicht schwer belastend für ihn. Vor einigen Tagen schrieb mir jemand, der ihm persönlich absolut ferne steht, Gegenteiliges. Ich informierte mich nun maßgebend – und ich kann jenem jungen Künstler nicht mehr das persönliche Empfinden entgegenbringen, wie vordem. Es wäre eine Unwahrheit von mir, wenn ich nicht auch äußerlich die Consequenzen zöge – er selbst wird dies nur wünschen können – wenn ich ihm das herzliche „Du“ noch gäbe. Was die Zukunft etwa bringt, das bleibt eine offene Frage. Carl Reininghaus. [1]
        Anmerkungen
    
    
        [1] Der Brief ist eine Art Memorandum „pro domo“. War man bisher verwundert darüber, dass er, der doch über den von ihm beigestellten Strafverteidiger über die Affäre von Neulengbach bestens informiert gewesen sein muss, Schiele plötzlich das „Du“-Wort entzog, so lese man seinen Brief an Schiele vom 13.02.1913 (ESDA ID 568) genau durch. Das ihm von Ungenannt Mitgeteilte muss gravierend gewesen sein.
    
        Provenienz
    
    
        Provenienz lt. Nebehay 1979:
Privatsammlung P. 10
Privatsammlung P. 10
        Erfasst in
    
    
        Albertina Stud. S. 170-171
    
        Autor*in
    
    
        Empfänger*in
    
    
Verknüpfte Objekte
            PURL: https://www.egonschiele.at/565
        
    
    